Zuerst war es eine unbestätigte Nachricht, die leider bald verifiziert wurde: Im Alter von 64 Jahren ist Mark Hollis, der ehemalige Leadsänger von TALK TALK und Solokünstler am 25.02. (nach anderen Quellen eventuell früher) gestorben. 1998 erschien sein letztes musikalisches Lebenszeichen in Albumlänge, sein Debüt unter einem eigenen Namen. Danach verabschiedete sich Hollis fast vollständig aus dem Musikbusiness, von kleinen Kollaborationen, unter anderem mit UNKLE und Anja Garbarek, abgesehen. 2012 veredelte ein rund anderthalbminütiges Instrumental die Endcredits einer Folge der amerikanischen Serie „The Boss“. Danach verschwand Mark Hollis wieder in der selbstgewählten Anonymität.
Mark Hollis ist eine der faszinierendsten Figuren der jüngeren Musikgeschichte. Gerade weil er überhaupt nicht in dieses Haifischbecken zu passen scheint. Eigentlich wollte Hollis Kinderpsychologe werden, bekam aber – laut The Guardian – keinen Hochschulabschluss zustande. Es folgten fünf fruchtlose Jahre als Punkmusiker mit der Band REACTION, bevor Hollis, der schmächtige Bursche mit dem Lausbubengesicht, und seine Mitmusiker Lee Harris (Drums), Paul Webb (Bass) sowie Simon Brenner (Keyboards) unter dem Namen TALK TALK zu einer ernsthaften Konkurrenz für DURAN DURAN, DEPECHE MODE oder SPANDAU BALLETT aufgebaut werden sollten. Das gelang mit dem verspielten „The Party Is Over“ so halbwegs. Das Album besitzt bereits, übertüncht vom 1982 so typischen Plastiksound, eine sanfte Grundtraurigkeit, die ganz dezent darauf verweist, wohin die Reise gehen soll.
1983 verließ Brenner die Band und wurde faktisch – nicht nominell – von Tim Friese-Greene ersetzt. Mit ihm hatte Mark Hollis eine perfekte kompositorische Ergänzung gefunden. Das Folgewerk „It‘s my Life“ war ein Quantensprung zum Vorgänger und warf mit „Dum Dum Girl“, dem Titellied und besonders „Such A Shame“ Hits ab, die die folgenden Jahrzehnte schadlos überstanden. Hymnisch, ergreifend, tanzbar und textlich düster knödelte sich Hollis durch Songs, die sich eindringlich in die Gehörgänge frästen.
„The Colours Of Spring“ folgte dem Pfad, war aber geschlossener, komplexer und noch eindrücklicher als der Vorgänger. Ein Pop-Kleinod, dass sich äußerst expressiv in Impressionismus versucht. Dabei außerordentlich erfolgreich. Weswegen EMI den Musikern ein dickes Budget und freie Hand für den Nachfolger überließen.
Was TALK TALK dazu nutzten, sich in eine Kirche in Suffolk zurückzuziehen, um dort unter Missachtung aller zeitlichen Vorgaben ein Meisterwerk aufzunehmen. Dass 1988 veröffentlichte „Spirit Of Eden“ hatte kaum mehr etwas mit den Alben zuvor gemein. Statt Synthesizern beherrschte Orchestersound die Szenerie, der äußerst sparsam aber hocheffektiv eingesetzt wurde. Statt melancholischen Chartsstürmern bereiste „Spirit Of Eden“ das weite Feld zwischen Ambient-Music, Pop, Folk, Jazz, Neoklassik und stiller Einkehr. Gerade letzteres zelebrierte dann der Nachfolger „The Laughing Stock“ fast bis zur Auflösung. Kommerziell erfolgreich war das nicht, einflussreich, polarisierend und wichtig hingegen schon. „Spirit Of Eden“ und „The Laughing Stock“ sind popkulturelle Referenzwerke der außergewöhnlichen Art, zum Zeitpunkt des Entstehens nicht unumstritten, was diesmal ein gutes Zeichen ist. Satie, Shostakowitsch und Coleman statt DURAN DURAN grüßen freundlich von überall her.
Danach schien die Geschichte von TALK TALK auserzählt. Man trennte sich ruhig und in Freundschaft, kein böses Wort fiel. Außer vielleicht von enttäuschten Managern.
Das 1998 herausgebrachte Soloalbum namens „Mark Hollis“ bediente sich der gleichen musikalischen Erbmasse wie die letzten beiden TALK TALK-Veröffentlichungen, blieb aber songorientierter und noch introvertierter, so weit das möglich war. Ein sperriges, wehmütiges und herzerweichendes Statement, das ein Unikat bleiben sollte. Wie seine Musik verflüchtigte Hollis sich. Keine öffentlichen Auftritte, kaum Interviews und wenig Infos drangen nach außen. Wieder einmal gilt: Die Eulen sind nicht, was sie scheinen und manche Rätsel bleiben ungelöst, manche leer gewordenen Felder müssen von anderen gefüllt werden. Im Falle TALK TALKS übernimmt das sehr respektabel – wenn auch bei wiederum anders gewichteter Ausrichtung – der ehemalige Bassist Paul Webb aka Rustin Man. Nicht nur gemeinsam mit PORTISHEADs Beth Gibbons sondern auch Tim Friese-Greene an seiner Seite.
Mark Hollis bleibt so enigmatisch wie einzigartig. Und lädt immer wieder zu einer neuerlichen Entdeckungsreise ein. In jeder Ausformung.
„When I see tenderness before you left (forget)
That even breaking up was never meant (forget)
But only angels look before they tread (forget)
Living in another world to you
Living in another world to you
Living in another world to you“
Song: „Living In Another World“ - Album: „The Colours Of Spring“